Angst vor der digitalen Trans­for­ma­tion?

Ein Pilotprojekt mit 8 Schweizer Museen

digitorials.ch ist ein Projekt der maze pictures swiss in Kooperation mit dem Städel Museum, der Liebighaus Skulpturensammlung und SCHIRN Kunsthalle Frankfurt sowie der Schweizer Agentur Zense, das vom Migros-Pionierfonds ermöglicht wurde.

Über einen Zeitraum von 4 Jahren begleitete digitorials.ch acht Museen bei der Entwicklung einer Digitalstrategie und der Neugestaltung interner Prozesse und Organisationsformen. Außerdem wurden gemeinsam neue digitale Formate und Kampagnen entwickelt und realisiert.

Unsere Erfahrungen haben wir ausgewertet und daraus Handlungsanweisungen für die digitale Transformation in Kultureinrichtungen abgeleitet. Die Arbeitsergebnisse stehen als Texte zum Download bereit. Digitorials® und Filme sind verlinkt.

Ein Museum sollte dort sein, wo seine Besucher­*innen sind

Die Museen

In einem breit angelegten Auswahlwettbewerb Ende 2018 konnten sich Museen unterschiedlicher Ausrichtung und Größe bewerben. Folgende acht Museen haben wir ausgewählt:

Kunstmuseum Basel

Zentrum Paul Klee

Museum der Kulturen Basel

Kunstmuseum Bern

Seemuseum Kreuzlingen

Kunstmuseum Luzern

Migros Museum für Gegenwartskunst

Kunsthaus Zürich

„Smartphone is now ‘the place where we live’, anthropologists say.“

The Guardian

„Wir haben uns komplett verlaufen, kommen aber gut voran.“

Tom DeMarco

„Digital transformation is not about technology - it's about change.“

Peter Weill und Stephanie L. Woerner

Evaluierung

  • Im ersten Schritt gilt es, den Stand der Digitalisierung festzuhalten. Alle bestehenden und geplanten digitalen Initiativen werden erfasst. Zusätzlich werden die Mitarbeitenden mittels Fragebögen und Interviews befragt, um die Organisation und Arbeitsweise im Haus nachzuvollziehen.

    Mittels einer Analyse des Online-Auftritts werden Stärken und Schwächen des Museums identifiziert. Best und Worst Practice-Vergleiche helfen, die Chancen im Wettbewerb zu erhöhen.

    Aus den Ergebnissen wird ein Maßnahmenkatalog inklusive Ressourcenplanung und einer konkreten Timeline erstellt.

  • Es zeigt sich, dass die wenigsten Häuser bereits über eine ganzheitliche, ausformulierte und klar kommunizierte Digitalstrategie verfügen. Vorhandene Strategien adressieren vor allem einzelne Formate oder Werkzeuge (etwa die Digitalisierung von Beständen); digitale Herangehensweisen werden noch zu wenig auf alle Arbeitsbereiche des Museums angewendet.

    Die unterschiedlichen Departments, wie Marketing, Kuration und Vermittlung sitzen selten an einem Tisch. Einen abteilungsübergreifenden Austausch gibt es in der Regel nur zu einzelnen Projekten oder Kampagnen.

    Oft fehlt eine gemeinsame Vision, die von allen verinnerlicht und in den täglichen Prozessen gelebt wird.

    Die bestehenden Budgets erlauben kaum Experimente. Die Erarbeitung erfolgreicher Fördermittelanträge bedarf zusätzlichen Know-Hows sowie personeller Kapazitäten, was einen Mehraufwand im Tagesgeschäft bedeutet.

Umsetzung

  • Mit den jeweiligen Häusern wird gemeinsam an den strategischen Grundlagen gearbeitet, etwa an der Formulierung eines Leitbildes, eines Mission- und Vision Statements sowie einer digitalen Gesamtstrategie, die eine klare Zielstellung und konkrete Faktoren zur Messung des Erfolgs beinhaltet.

    In Workshops zu agilem Arbeiten geht es darum, wie die Kompetenz einzelner Abteilungen allen verfügbar gemacht werden kann. Denn wenn interdisziplinäre Arbeitsgruppen schneller eigenständige Entscheidungen treffen, können sie schneller und spontaner auf unerwartete Ereignisse reagieren.

    Eine Einführung in Visual Storytelling bildet die Grundlage, um die zu vermittelnden Inhalte in eine klar strukturierte, einfach verständliche und unterhaltsame Erzählung zu übersetzen.

  • In einem kollaborativen Prozess werden die ausgewählten Formate produziert. Ziel ist es, dass die Ownership bei den Museen selbst bleibt. Der Fokus liegt dabei auf der Übertragbarkeit. Auf Basis existierender Inhalte werden vielseitig einsetzbare Formate entwickelt. Das Vermittlungsangebot wird durch neue Storytellingtools (i. d. R. Digitorials®) erweitert.

    Die Ergebnisse und Lessons learned werden in einem Reporting festgehalten.

Leitbild und Mission Statement

Das Leitbild ist ein internes Dokument, in dem Selbstverständnis, Werte und Ziele einer Institution schriftlich festgehalten werden. Es gibt die gemeinsame Richtung vor und dient als Orientierung und Motivation für die gesamte Belegschaft.

Das Mission Statement ist eine kondensierte Form des Leitbildes und kommuniziert nach außen (z. B. Dienstleistern, Publikum), wofür eine Institution steht. Daher wird es auch oft auf der Website veröffentlicht.

Leitbild und Vision des Zentrum Paul Klee
Mission Statement des Migros Museum für Gegenwartskunst

Digitorials®

Namensgeber des Projekts ist das digitale Vermittlungstool Digitorial®. Durch den Einsatz von Ton, Bild und Video ermöglicht es ein immersives Storytelling, um kunst- und kulturhistorische Zusammenhänge leicht zugänglich und auf unterhaltsame Weise zu erklären. Das kostenlose Format ermöglicht es Besucher*innen, sich auf eine Ausstellung vorzubereiten und diese mit spannenden Hintergrundinfos online zu erweitern.

„Meret Oppenheim. Mon exposition“

Kunstmuseum Bern, 2022

Anlässlich der großen Retrospektive der Schweizer Künstlerin entstand 2022 das gleichnamige Digitorial®. Mit Hilfe von alten TV-Ausschnitten erhalten Nutzer*innen in fünf Kapiteln einen Einblick in die künstlerische Entwicklung Oppenheims, die sie aus ihrer eigenen Perspektive erzählt. Flankiert wurde das Digitorial® durch eine Rundum-Kampagne, mit zwei aufeinanderfolgenden Viral-Serien, einer Instagram-Serie, einem Ausstellungsfilm und einer digitalen Außenwerbung auf Werbescreens im öffentlichen Raum in Bern.

Digitorial®

„Olafur Elisasson. Symbiotic Seeing“

Kunsthaus Zürich, 2020

Der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson (*1967) ist einer der einflussreichsten Künstler der Gegenwart. Was steckt hinter seinem Werk, das oft auf technisch anspruchsvollen Installationen basiert? Wie arbeitet Eliasson und warum berührt uns sein Werk? Das zur Ausstellung Symbiotic Seeing im Kunsthaus Zürich entstande Digitorial® hat dem Künstler und den Mitarbeiter*innen seines Studios so gut gefallen, dass sie für die Ausstellung in der Fondation Beyeler 2021 selbst eines entwickelt haben, das allerdings nicht vertikal, sondern horizontal zu scrollen ist.

Digitorial®

Ausstellungs­filme & Kam­pagnen

„Potential Worlds 2: Eco-Fictions“

Migros Museum für Gegenwartskunst, 2020

Die Gruppenausstellung Potential Worlds 2: Eco-Fictions beschäftigt sich im Anschluss an Potential Worlds 1: Planetary Memories mit spekulativen Entwürfen des Beziehungsgeflechts Mensch und Natur vor dem Hintergrund der gegenwärtigen ökologischen Situation.

Der gleichnamige Ausstellungsfilm arbeitet mit einer dynamischen Montage und schlagwortartigen Typographien. Das Video orientiert sich an den Kernsätzen des neu erarbeiteten Leitbildes und richtet sich explizit an Zuschauer*innen, die ohne Vorwissen in die Ausstellung gehen..

Parallel wurde eine Viral-Kampagne für Instagram entwickelt. Die 30-sekündigen Clips sind mit elektronischer Musik von Boys Noize unterlegt und ermöglichen kurze, knackige Eindrücke der Kunstwerke.

Instagram-Kampagne

„Korakrit Arunanondchai. Songs for dying / Songs for living“

Migros Museum für Gegenwartskunst, 2020

In der Ausstellung Songs for dying / Songs for living laden atmosphärische Räume mit Videoinstallationen, Skulpturen und Malerei die Besucher*innen dazu ein, Erzählungen von Trauer und Transformation zu erkunden.

Der gleichnamige Ausstellungsfilm zeigt die Inszenierung als eine kulturelle Attraktion, in welcher der Künstler sein Werk mittels Interview-Ausschnitten persönlich „präsentiert“. Der Ausstellungsfilm soll Lust machen, die Ausstellung zu besuchen, ohne zu viel Information vorweg zu nehmen. 

Instagram-Kampagne

Serielle Formate

„Collection Bites“

Migros Museums für Gegenwartskunst, 2022

In der Bewegtbild-Serie „Collection Bites“ stellen Persönlichkeiten aus Popkultur, Musik, Politik, Sport und dem Sozialen ihr Lieblingswerk aus der Sammlung vor. „Collection Bites“ gibt Raum für unkonventionelle Interpretationen und persönliche Interaktionen mit Kunst. Aus dem Aufeinandertreffen entstehen kleine Leckerbissen, die in wenigen Minuten einen einzigartigen Einblick in die vielseitige Sammlung des Museums geben. Bisher wurden drei Episoden produziert. Weitere sind in Arbeit.

Anna Rosenwasser meets Guerilla Girls (Folge 1), Knackeboul meets Sylvie Fleury (Folge 2), Milad Karimi meets Lang / Baumann (Folge 3)
Instagram-Kampagne

„Unpacking Klee: Auf Spurensuche im Archiv“

Zentrum Paul Klee, 2024

In seinem Archiv hebt das Zentrum Paul Klee alles auf, was ihm die Nachfahren der Familien Klee und Bürgi aus dem Besitz von Paul Klee überlassen haben. Darunter sind auch diverse Kuriositäten wie ein Vogelnest, eine Augenklappe oder eine Zigarrenkiste mit Mosaiksteinen. Warum hebt das Zentrum Paul Klee diese Artefakte in einem klimatisierten Depot auf?

Antworten auf diese und andere Fragen gibt eine zehnteilige Filmserie, in der einzelne Objekte vorgestellt werden, die ein Schlüssel zum Verständnis von Paul Klees Werk sind. Das Publikum erfährt auf unterhaltsame Weise etwas über seine Arbeitsprozesse und Lebensumstände. Gleichzeitig geben die Kurzfilme Einblicke in die konservatorische Arbeit im Archiv und damit Innenansichten aus einem Bereich des Museums, der dem Publikum normalerweise nicht zugänglich ist. Die erste Staffel besteht aus 10 Kurzfilmen und wird 2024 online gehen.

Museums­filme & Installatio­nen

„Klee, Klee, Klee. Stimmen zu Paul Klee“

Zentrum Paul Klee, 2023

Anlässlich der neuen Dauerausstellung „Kosmos Klee“ im Zentrum Paul Klee wurde ein 23-minütiger Film mit Zeitzeugen-Interviews entwickelt, der zu festen Zeiten im Kinoraum des Museums läuft. Der Film ist als Kinoversion und Trailer zudem auf YouTube verfügbar. Begleitend wurde eine Instagram-Kampagne lanciert, in der kurze, humorvolle Statements der Zeitzeugen die Neugier auf Paul Klee und Lust auf den Ausstellungsbesuch wecken sollen.

Ausstellungsfilm
Instagram-Kampagne

„Sophie Taeuber-Arp. Gelebte Abstraktion“

Kunstmuseum Basel, 2021

Die umfassende Retrospektive, die das Kunstmuseum Basel Sophie Taeuber-Arp 2021 gewidmet hat, stellte ihr Schaffen erstmals einer internationalen Öffentlichkeit vor.

Der gleichnamige Film wurde im letzten Raum der Ausstellung gezeigt. Er arbeitet in einer Splitscreen-Montage wesentliche Züge von Taeuber-Arps Persönlichkeit heraus, die zum Verständnis ihres Werkes beitragen, das nicht zwischen bildender Kunst und Handwerk unterscheidet. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Museum of Modern Art New York und der Tate London, die den Film übernommen hat. Mit der Stimme von Sophie Hunger, die Aussagen der von ihr verehrten Sophie Taeuber-Arp rezitiert.

„Digitalization – and this is a new challenge across the entire institution – requires a new kind of “storytelling”, a new way education and engagement. If that succeeds, there is huge potential here. The museum turns into a place that cannot only be visited physically but that can fulfill these responsibilities prior to a visit and outside of its location.“

– Max Hollein, Director of the Metropolitan Museum of Art

Digitalstudie für den Kultur­bereich

Studie mit Handlungsempfehlungen im Auftrag der Kulturstiftung der Länder, 2022

Aufbauend auf den Erkenntnissen aus digitorials.ch haben wir gemeinsam mit der Wider Sense GmbH im Auftrag der Kultur Ministerkonferenz (Kultur-MK) für die Bundesländer in Deutschland eine Studie mit dem Titel „Handlungsempfehlungen der Länder zur Digitalität und digitalen Transformation im Kulturbereich und in der kulturellen Infrastruktur“ erstellt. Sie basiert einerseits auf einer Abfrage der Vertreter*innen der Bundesländer aus den Ministerien für Kunst und/oder Kultur sowie andererseits auf teilstandardisierten Interviews mit Expert*innen aus unterschiedlichen Bereichen und Standorten.

Zur Studie

Kunst­museen im orga­nisa­tionalen Wan­del

Internationales Forschungsprojekt im Rahmen der vom Bundesministerium für Kunst und Kultur geförderten Initiative “Innovative Hochschule”, 2023-2027

In Kooperation mit der Leuphana Universität Lüneburg haben wir das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Expanding Art Museums“ entwickelt, welches die Handlungsempfehlungen aus der Digitalstudie in die Praxis umsetzen will. Das Projekt zielt darauf ab, die Schlüsselthemen, -praktiken und - technologien des organisatorischen Wandels in Kunstmuseen zu identifizieren und zu untersuchen, wie ein solcher Wandel vonstattengeht. Es soll einen akademischen und institutionellen Rahmen für den Austausch, die Diskussion und die Weiterentwicklung dieser Erkenntnisse bieten, in dem Praktiker*innen und Forscher*innen gemeinsam Wissen darüber entwickeln, wie Kunstmuseen erweitert werden können.

Teilnehmende Museen:
Metropolitan Museum New York (USA) • Zentrum Paul Klee, Bern (CHE) • Kunstmuseum Basel (CHE) • MUDAM, Luxemburg-Stadt (LUX) • Lenbachhaus, München (DEU) • London Barbican Centre, London (GBR) • Munch Museum, Oslo (NOR) • Belvedere, Wien (AUT)

Downloads

Leitbild

Wie schreibt man ein Leitbild? Und was ist der Unterschied zwischen einem Mission und einem Vision Statement? Diese Handreiche stellt Definitionen und Tipps zum Prozessablauf zusammen.

Visual Storytelling

Diese Einführung erklärt am Beispiel des Online-Formats Digitorials®, wieso das Erzählen, aber auch das Strukturieren von Geschichten so wichtig für die Vermittlung ist.

Bewegtbild

Filme lassen Zeitzeug*innen ihre Geschichten erzählen, Objekte erfahrbar machen und wecken Emotionen. Was es dabei zu beachten gilt, erklärt diese Einführung.

Über den Migros-Pionierfonds

Der Migros-Pionierfonds unterstützt nachhaltige Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen, um den systemischen Wandel in Richtung einer zukunftsfähigen Gesellschaft anzustossen. Der wirkungsorientierte Förderansatz verbindet finanzielle Unterstützung mit einem aktiven Förder-und Risikomanagement. Der Fonds ist Teil des gesellschaftlichen Engagements der Migros-Gruppe und verfügt über jährlich rund 15 Millionen Franken. Getragen wird er von Unternehmen der Migros-Gruppe wie Denner, Migros Bank, Migrol, migrolino und Ex Libris.

Über die maze pictures swiss GmbH

Von der digitalen Gesamtstrategie bis zu einzelnen Projekten - wir beraten Museen, die sich den Herausforderungen des digitalen Wandels stellen. Zu unseren Kunden zählen das Metropolitan Museum of Art in New York, das Kunsthaus Zürich, das Kunstmuseum Basel, das Städel Museum und die Schirn Kunsthalle in Frankfurt, das Kunstmuseum und das Zentrum Paul Klee in Bern sowie eine Vielzahl kleinerer Institutionen in Deutschland und der Schweiz.

digitorials.ch wurde durch den Migros-Pionierfonds ermöglicht und durch maze pictures realisiert.

Partner

Städel Museum, Liebieghaus Skulpturensammlung und SCHIRN Kunsthalle Frankfurt, Zense GmbH

Projekt-Team

Gesamtprojektleitung/Beratung: Jörg Schulze, Carsten Siebert, Inka Drögemüller
Konzeption/Projektleitung: Herbert Schwarze
Konzeption/Beratung: Chantal Eschenfelder, Andri Hinnen
Drehbuch/Regie: Michael Dörfler
Producer: Ann-Sophie Wilkening, Bastian Delarocque, Maria Hermann, Leslie Post, Maren Berg, Katja Kuhlmann, Siri van den Berg
Design/Development: Dennis Straub, Sebastian Probst-Lübeck, Jutta Babak

Besonderer Dank

Britta Friedrich, Pablo Villars, Stefan Schöbi, Hedy Graber, Thomas Soraperra, Heike Munder, Dr. Andreas Zielke, Fabienne Eggelhöfer, Mirjam Baitsch, Philippe Büttner, Yves Erne, Rene Müller, Philipp Kreuzer, Alexandra Müller-Crepon, Maria Horst, Boys Noize, Sebastian Koch, Carlos Leal, Edwin Thomas, Stephan Berg, Timon Beyes, Claus Pias, Centre for Digital Cultures, Lüneburg, HSG, St. Gallen